Nachhaltiger Konsum Zu gut zum Wegwerfen

Jedes Jahr kurz vor Weihnachten steigt der Konsum deutlich an. Aber muss das sein? Man kann Lebensmittel retten, kaputte Geräte reparieren und Kleidung gebraucht kaufen. Das ist umweltschonend und spart eine Menge Geld. Wie das im Alltag funktioniert, zeigen drei Berliner Initiativen.

09. Dezember 2020
Innenaufnahme: Hände, die Smartphone halten und Hände, die Essensverpackungen auf Tresen schieben

Susanna ist aufgeregt. In der Hand hält sie ihr Tablet. „Das will einfach nicht mehr angehen, aber ich möchte es auch nicht wegwerfen. Das wäre schade“, sagt die 32-Jährige. Deswegen steht sie vor dem „Repair-Café“ im Stadt­teil­zentrum Pankow. Sie will es selbst reparieren. „Allein würde ich mich das nicht trauen, aber hier bekommt man Hilfe“, erzählt sie. Hinter ihr steht Timm. Auch er braucht Unter­stützung. Das Waffel­eisen der Familie funktioniert nicht mehr. „Die Kinder vermissen die heißen Waffeln. Einfach ein neues kaufen will ich aber nicht“, sagt er. Es ist 17 Uhr, die Tür zum „RepairCafé“ öffnet sich wie an jedem ersten Montag im Monat.

Innenaufnahme: Junger und älterer Mann mit Mundschutz beugen sich über Waffeleisen

Kaputt ist nicht gleich kaputt: Familienvater Timm möchte das Waffeleisen für seine Kinder retten. Hobby-Techniker Wolfgang hilft ihm dabei. Gemeinsam tüfteln sie im „Repair-Café“ im Stadtteilzentrum Pankow

Elektronische Geräte selber reparieren, gebrauchte Kleidung kaufen oder Essens­reste vor dem Mülleimer retten: All das sind gute Wege, um im Alltag nicht nur die Umwelt, sondern auch den Geldbeutel zu schonen. In Berlin gibt es immer mehr Orte, an denen vermeintlich Defektes oder Altes eine zweite Chance bekommt. Denn kaputt ist nicht gleich kaputt, gebraucht bedeutet nicht gleich „oll“, und ein Brot, das am Morgen gebacken wurde, schmeckt auch nach Laden­schluss noch.

Mit Hilfe selber reparieren

„Das ‚RepairCafé‘ ist ein Ort der Hoffnung“, sagt der 65-jährige Hajo und lacht. Wenn ein Gerät nicht mehr funktioniert, wird es heute oft entsorgt. Dabei könnte man es noch reparieren. Doch das wird den Verbraucher* innen nicht einfach gemacht: Entweder stellen Hersteller keine Ersatz­teile zur Verfügung oder verbauen Teile so fest, dass sie nur mit Spezial­werkzeug zu lösen sind. Ohne Vorwissen trauen sich viele eine Reparatur nicht zu. Hajo, gelernter Medizin­techniker, will genau dabei helfen – gemeinsam mit fünf weiteren ehren­amtlichen Tüftlern und Bastlern vom „Repair-Café“ im Stadt­teil­zentrum Pankow.

Susanna setzt sich zu Hajo an den Tisch und gibt ihm das Tablet. Erst öffnet Hajo mit einem Spezial­werk­zeug das Gehäuse, dann blicken er und Susanna gemeinsam ins Innere des Gerätes. Ratlosigkeit. Doch Susanna hat eine Idee. Auf YouTube hat sie ein Video gesehen, in dem erklärt wird, dass man alle Steck­verbindungen zur Fest­platte trennen und dann wieder einstecken muss. „Dann startet es sich neu.“ „Aber erst müssen wir den Akku ausbauen, sonst gibt es einen Kurzschluss“, sagt Hajo ruhig.

Innenaufnahme: Junge Frau mit Mundschutz und Kopftuch sitzt am Tisch und hält Gehäuse eines Tablets

Susanna öffnet das Gehäuse ihres Tablets. Auf YouTube hat sie dazu eine Anleitung gesehen. Im „Repair-Café“ bekommt sie das notwendige Spezialwerkzeug – und eine zweite Meinung

Am Nebentisch sortiert Wolfgang, 72, sein Werkzeug. „Ich habe mein Leben lang gebaut“, sagt er stolz. Früher war er Tischler, seit vier Jahren hilft er im „Repair-Café“. „Die meisten Sachen sind ja nicht wirklich kaputt“, sagt er. Und landen trotzdem auf dem Müll. Tatsächlich fällt in Deutschland jedes Jahr ziemlich viel Elektro­schrott an. 2018 waren es 853 124 Tonnen, ergab eine Erhebung des Umwelt­bundes­amtes. Viele Geräte landen auf Müll­deponien in afrikanischen Ländern. Enthaltene Schwer­metalle wie Blei und Queck­silber sind schädlich für die Umwelt und die Menschen, die auf Schrott­plätzen nach verwertbaren Teilen suchen.

Timm, der Familienvater mit dem Waffeleisen, setzt sich zu Wolfgang. Zusammen schrauben sie erst die Vorderseite ab, dann die Rückseite, bis sie nicht mehr weiter­kommen. Die Platten lösen sich nicht. „Puh, hart­näckiges Teil“, stöhnt Wolfgang und schafft es irgendwann doch. Ein Strom­kabel ist durch­trennt, das sie nicht aus­tauschen können. „Leider ist es zu fest eingebaut“, sagt Wolfgang. „Sieben von zehn Geräten können wir reparieren. Dieses Waffeleisen gehört nicht dazu.“

„Sieben von zehn Geräten können wir reparieren.“

Wolfgang, Repair-Café Pankow

Vom Nebentisch hört man einen Jubelschrei. Es hat geklappt, das Tablet funktioniert wieder. Susanna reißt die Arme in die Luft. „Danke, Hajo“, sagt sie. Auch bei den anderen Besucher*innen geht es Schlag auf Schlag: ein Toaster, der nur gereinigt werden musste. Eine Lampe, bei der eine Sicherung im Dimmer defekt war. Ein Küchen­mixer, bei dem sich die Kontakte gelöst hatten. Vier von fünf Geräten werden an diesem Nachmittag gerettet.

Gebrauchte Kleidung ist gefragt

Nicht nur Elektronik, auch Kleidung landet häufig im Müll, obwohl Jacken, Hosen und Hemden noch in einem guten Zustand sind und anderen Menschen passen würden. 4,7 Kilogramm Kleidung entsorgt jede*r Bundes­bürger*in im Jahr, von denen nur 500 Gramm recycelt werden, fand das nach haltige Modelabel Labfresh aus den Niederlanden in einer beauftragten Studie Anfang 2020 heraus. Fast fünf Kilogramm Textilmüll – das entspricht einer ganzen Wasch­maschinen­ladung voll. Dass Kleider­spenden durchaus gefragt sind, weiß Ursula Khalil, 68. „Herzlich willkommen“, begrüßt sie alle, die zu ihr in den „Fairkaufladen“ ins Märkische Viertel in Reinickendorf kommen. Hier gibt es Mäntel für Frauen, Hemden für Männer und Schuhe für Kinder, aber auch eine Puppenstube zum Spielen, Bücher für ruhige Winterstunden und Decken zum Einkuscheln. Im Regal stehen Teetassen, Thermos­kannen und Kaffee­maschinen. 

Innenaufnahme: Frau mit Mundschutz neben Kleiderständern

Ursula Khalil ist die gute Seele des „Fairkaufladens“. Hier gibt es Kleidung und Gegenstände aus zweiter Hand

Ursula ist die gute Seele des Ladens. Viele Kund*innen kennt sie mit Namen und plaudert mit ihnen. Eine Frau kommt herein. Sie möchte die Sachen ihrer großen Tochter spenden, die von zu Hause ausgezogen ist. Etwas später betritt eine weitere Frau den „Fair­kauf­laden“. Sie senkt ihre Stimme. Ihre Mutter sei verstorben. Ob sie ihre Kleider und Hosen abgeben könne? „Na klar“, sagt Ursula mitfühlend. Die Menschen bringen nicht nur Kleidung oder Gegen­stände, sondern auch ihre Geschichten mit. Ursula hört zu.

Aber wie funktioniert der „Fairkauf­laden“? „Das Konzept ist einfach“, erklärt Ursula. Man könne vorbei­bringen, was man nicht mehr braucht. Einzige Bedingung: Alle Gegen­stände müssen in einem guten Zustand sein, das heißt funktions­tüchtig, sauber, ohne Löcher oder Flecken. 

Gegen ein faires Entgelt, etwa vier Euro für eine Jacke oder drei Euro für einen Rock, kann man die Sachen mitnehmen. Kinder­sachen kosten ein Euro pro Stück. Die Einnahmen decken Unkosten wie Strom und Ursulas Gehalt. Finanziell unterstützt wird der Laden von der GESOBAU-Stiftung. 

Nun betritt Eva Richter den Laden, grüßt Ursula und geht zum Bücherregal. „Mal sehen, ob ich was Spannendes finde.“ Die Rentnerin lebt in der Nachbarschaft und schaut auf ihrer Runde durch den Kiez immer auch im „Fair­kauf­laden“ vorbei. Hier kennt man sich, hier kann sie ein bisschen reden und stöbern. „Ein schöner Ort, nette Menschen, tolle Sachen“, sagt sie. Heute nimmt sie zwei Matchbox-Autos für ihren Enkel mit.

Innenaufnahme: Ältere Frau mit Mundschutz hält Spielzeugautos, im Hintergrund Kleiderständer

Eva Richter kommt regelmäßig in den „Fairkaufladen“, wenn sie im Kiez spazieren geht. Hier findet sie gutes Gebrauchtes. Diesmal sind es zwei Matchbox-Autos für ihr Enkelkind

Felix Bergemann ist der Leiter des FACE Familien­zentrums, zu dem der „Fair­kauf­laden“ gehört. „Wir wollen hier etwas gegen die Weg­werf­gesellschaft tun und gleich­zeitig jenen helfen, die nicht so viel Geld haben“, sagt er. Eine Bedürftigkeit müsse man aber nicht nachweisen. „Alle sind willkommen“, sagt er.

Lebens­mittel retten

Willkommen sind die Menschen auch im „Café fritz & friedrich“ von Franziska Liebig, 32. Vor vier Monaten hat sie sich mit der Eröffnung einen Traum erfüllt. Sie ist in Heinersdorf geboren und aufgewachsen und lebt heute mit ihren Kindern und ihrem Mann immer noch im Kiez. „Genau hier wollte ich einen gemütlichen Ort schaffen, der zu einem Treffpunkt für die Menschen wird“, sagt sie. Bei ihr gibt es Frühstück, Mittagsgerichte, Kuchen und Waffeln. Doch eine Sache wollte sie nicht: übrig gebliebenes Essen wegschmeißen.

Außenaufnahme: Frau mit Essensverpackungen in der Hand vor Schaufenster

Vor der Mülltonne gerettet: Almut Wetjen holt übrig gebliebenes Essen wie Suppe im „Café fritz & friedrich“ ab. Über die App „Too Good To Go“ hat sie das Café gefunden

Innenaufnahme: Frau mit Kind an Herd in Küche

Am Abend wärmt Almut die Suppe aus dem Café für die Kinder noch mal auf

Zwölf Millionen Lebensmittel landen jedes Jahr im Müll, obwohl sie noch genießbar sind, das sind 75 Kilo pro Kopf. Große Mengen werden regelmäßig in Bäckereien, Super­märkten und Restaurants entsorgt. Mittler­weile gehen einige Initiativen in Berlin gegen die Verschwendung von Lebens­mitteln vor – und kommen zu Lösungen. SirPlus etwa ist eine neu gegründete Super­markt­kette mit vier Standorten in Berlin, die nur übrig gebliebene Lebens­mittel verkauft. Wer als Lebens­mittel­retter*in unterwegs sein möchte, kann sich bei foodsharing. de anmelden. Und auch mit Apps lassen sich Lebens­mittel vor der Tonne retten. Eine nennt sich „Too Good To Go“, was übersetzt „zu gut zum Weg­schmeißen“ bedeutet. Die Idee dahinter: Restaurants und Supermärkte melden in der App Leben­smittel oder Gerichte, die sie nicht verkauft haben oder bereits kleine Makel zeigen. Nutzer*innen können diese über die App reservieren und für einen sehr günstigen Preis in einem vorgegebenen Zeitfenster abholen. Bezahlt wird vorab online.

Franziska Liebig hat sich mit ihrem Café bei der App als Partnerbetrieb angemeldet und stellt nun jeden Tag zwei Überraschungs­pakete ein: mit allem, was sie am Tag nicht verkauft hat. „Die Menschen freuen sich richtig über meine Pakete, und ich bin froh, dass ich nichts weg­schmeißen muss“, sagt sie. 50 Mahl­zeiten konnte sie so schon retten. 

Eine regelmäßige Nutzerin der App ist Almut Wetjen. Sie ist 38 Jahre alt und Mutter zweier Kinder. „Ich plane das richtig“, sagt sie. Zum Beispiel fürs Abendessen oder für Ausflüge am Wochenende. Dann reserviert sie sich über die App eines der Über­raschungs­pakete in ihrer Lieblings­bäckerei. „Am nächsten Tag nehmen wir süße Teilchen, belegte Brötchen und Croissants mit auf unsere Tour.“ Vier Millionen Menschen haben die App bereits genutzt und fünf Millionen Mahlzeiten vor der Mülltonne bewahrt.

Natürlich kann man nicht alles retten oder reparieren – aber doch mehr, als man denkt. Es gibt viele Wege, seinen Alltag nach­haltiger und günstiger zu gestalten. So wie Susanna, die vor die Tür des „Repair-Cafés“ tritt und strahlt. In der Hand hält sie ihr Tablet. Es funktioniert wieder. „Hajo und ich haben es zusammen geschafft“, sagt sie. Timm muss sein Waffel­eisen leider weg­schmeißen: „Ich kann aber mit gutem Gewissen sagen, dass ich alles probiert habe.“

Repair-Café & Co.

Eine Liste von Repair-Cafés in Berlin und Deutschland gibt es hier: www.reparatur-initiativen.de

Den „Fairkaufladen“ finden Sie hier: Wilhelmsruher Damm 159, 13439 Berlin, Informationen unter: 030 9843 6645 oder unter: face-familienzentrum.de/fairkaufladen

Mehr Informationen zu „Too Good To Go“, die App zum Lebensmittelretten, gibt es hier: toogoodtogo.de oder im Google Play Store beziehungsweise im App Store


Text: Karl Grünberg / Fotos: Verena Brüning


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