Nachhaltiger Konsum Zu gut zum Wegwerfen
Jedes Jahr kurz vor Weihnachten steigt der Konsum deutlich an. Aber muss das sein? Man kann Lebensmittel retten, kaputte Geräte reparieren und Kleidung gebraucht kaufen. Das ist umweltschonend und spart eine Menge Geld. Wie das im Alltag funktioniert, zeigen drei Berliner Initiativen.
Susanna ist aufgeregt. In der Hand hält sie ihr Tablet. „Das will einfach nicht mehr angehen, aber ich möchte es auch nicht wegwerfen. Das wäre schade“, sagt die 32-Jährige. Deswegen steht sie vor dem „Repair-Café“ im Stadtteilzentrum Pankow. Sie will es selbst reparieren. „Allein würde ich mich das nicht trauen, aber hier bekommt man Hilfe“, erzählt sie. Hinter ihr steht Timm. Auch er braucht Unterstützung. Das Waffeleisen der Familie funktioniert nicht mehr. „Die Kinder vermissen die heißen Waffeln. Einfach ein neues kaufen will ich aber nicht“, sagt er. Es ist 17 Uhr, die Tür zum „RepairCafé“ öffnet sich wie an jedem ersten Montag im Monat.
Elektronische Geräte selber reparieren, gebrauchte Kleidung kaufen oder Essensreste vor dem Mülleimer retten: All das sind gute Wege, um im Alltag nicht nur die Umwelt, sondern auch den Geldbeutel zu schonen. In Berlin gibt es immer mehr Orte, an denen vermeintlich Defektes oder Altes eine zweite Chance bekommt. Denn kaputt ist nicht gleich kaputt, gebraucht bedeutet nicht gleich „oll“, und ein Brot, das am Morgen gebacken wurde, schmeckt auch nach Ladenschluss noch.
Mit Hilfe selber reparieren
„Das ‚RepairCafé‘ ist ein Ort der Hoffnung“, sagt der 65-jährige Hajo und lacht. Wenn ein Gerät nicht mehr funktioniert, wird es heute oft entsorgt. Dabei könnte man es noch reparieren. Doch das wird den Verbraucher* innen nicht einfach gemacht: Entweder stellen Hersteller keine Ersatzteile zur Verfügung oder verbauen Teile so fest, dass sie nur mit Spezialwerkzeug zu lösen sind. Ohne Vorwissen trauen sich viele eine Reparatur nicht zu. Hajo, gelernter Medizintechniker, will genau dabei helfen – gemeinsam mit fünf weiteren ehrenamtlichen Tüftlern und Bastlern vom „Repair-Café“ im Stadtteilzentrum Pankow.
Susanna setzt sich zu Hajo an den Tisch und gibt ihm das Tablet. Erst öffnet Hajo mit einem Spezialwerkzeug das Gehäuse, dann blicken er und Susanna gemeinsam ins Innere des Gerätes. Ratlosigkeit. Doch Susanna hat eine Idee. Auf YouTube hat sie ein Video gesehen, in dem erklärt wird, dass man alle Steckverbindungen zur Festplatte trennen und dann wieder einstecken muss. „Dann startet es sich neu.“ „Aber erst müssen wir den Akku ausbauen, sonst gibt es einen Kurzschluss“, sagt Hajo ruhig.
Am Nebentisch sortiert Wolfgang, 72, sein Werkzeug. „Ich habe mein Leben lang gebaut“, sagt er stolz. Früher war er Tischler, seit vier Jahren hilft er im „Repair-Café“. „Die meisten Sachen sind ja nicht wirklich kaputt“, sagt er. Und landen trotzdem auf dem Müll. Tatsächlich fällt in Deutschland jedes Jahr ziemlich viel Elektroschrott an. 2018 waren es 853 124 Tonnen, ergab eine Erhebung des Umweltbundesamtes. Viele Geräte landen auf Mülldeponien in afrikanischen Ländern. Enthaltene Schwermetalle wie Blei und Quecksilber sind schädlich für die Umwelt und die Menschen, die auf Schrottplätzen nach verwertbaren Teilen suchen.
Timm, der Familienvater mit dem Waffeleisen, setzt sich zu Wolfgang. Zusammen schrauben sie erst die Vorderseite ab, dann die Rückseite, bis sie nicht mehr weiterkommen. Die Platten lösen sich nicht. „Puh, hartnäckiges Teil“, stöhnt Wolfgang und schafft es irgendwann doch. Ein Stromkabel ist durchtrennt, das sie nicht austauschen können. „Leider ist es zu fest eingebaut“, sagt Wolfgang. „Sieben von zehn Geräten können wir reparieren. Dieses Waffeleisen gehört nicht dazu.“
„Sieben von zehn Geräten können wir reparieren.“
Wolfgang, Repair-Café Pankow
Vom Nebentisch hört man einen Jubelschrei. Es hat geklappt, das Tablet funktioniert wieder. Susanna reißt die Arme in die Luft. „Danke, Hajo“, sagt sie. Auch bei den anderen Besucher*innen geht es Schlag auf Schlag: ein Toaster, der nur gereinigt werden musste. Eine Lampe, bei der eine Sicherung im Dimmer defekt war. Ein Küchenmixer, bei dem sich die Kontakte gelöst hatten. Vier von fünf Geräten werden an diesem Nachmittag gerettet.
Gebrauchte Kleidung ist gefragt
Nicht nur Elektronik, auch Kleidung landet häufig im Müll, obwohl Jacken, Hosen und Hemden noch in einem guten Zustand sind und anderen Menschen passen würden. 4,7 Kilogramm Kleidung entsorgt jede*r Bundesbürger*in im Jahr, von denen nur 500 Gramm recycelt werden, fand das nach haltige Modelabel Labfresh aus den Niederlanden in einer beauftragten Studie Anfang 2020 heraus. Fast fünf Kilogramm Textilmüll – das entspricht einer ganzen Waschmaschinenladung voll. Dass Kleiderspenden durchaus gefragt sind, weiß Ursula Khalil, 68. „Herzlich willkommen“, begrüßt sie alle, die zu ihr in den „Fairkaufladen“ ins Märkische Viertel in Reinickendorf kommen. Hier gibt es Mäntel für Frauen, Hemden für Männer und Schuhe für Kinder, aber auch eine Puppenstube zum Spielen, Bücher für ruhige Winterstunden und Decken zum Einkuscheln. Im Regal stehen Teetassen, Thermoskannen und Kaffeemaschinen.
Ursula ist die gute Seele des Ladens. Viele Kund*innen kennt sie mit Namen und plaudert mit ihnen. Eine Frau kommt herein. Sie möchte die Sachen ihrer großen Tochter spenden, die von zu Hause ausgezogen ist. Etwas später betritt eine weitere Frau den „Fairkaufladen“. Sie senkt ihre Stimme. Ihre Mutter sei verstorben. Ob sie ihre Kleider und Hosen abgeben könne? „Na klar“, sagt Ursula mitfühlend. Die Menschen bringen nicht nur Kleidung oder Gegenstände, sondern auch ihre Geschichten mit. Ursula hört zu.
Aber wie funktioniert der „Fairkaufladen“? „Das Konzept ist einfach“, erklärt Ursula. Man könne vorbeibringen, was man nicht mehr braucht. Einzige Bedingung: Alle Gegenstände müssen in einem guten Zustand sein, das heißt funktionstüchtig, sauber, ohne Löcher oder Flecken.
Gegen ein faires Entgelt, etwa vier Euro für eine Jacke oder drei Euro für einen Rock, kann man die Sachen mitnehmen. Kindersachen kosten ein Euro pro Stück. Die Einnahmen decken Unkosten wie Strom und Ursulas Gehalt. Finanziell unterstützt wird der Laden von der GESOBAU-Stiftung.
Nun betritt Eva Richter den Laden, grüßt Ursula und geht zum Bücherregal. „Mal sehen, ob ich was Spannendes finde.“ Die Rentnerin lebt in der Nachbarschaft und schaut auf ihrer Runde durch den Kiez immer auch im „Fairkaufladen“ vorbei. Hier kennt man sich, hier kann sie ein bisschen reden und stöbern. „Ein schöner Ort, nette Menschen, tolle Sachen“, sagt sie. Heute nimmt sie zwei Matchbox-Autos für ihren Enkel mit.
Felix Bergemann ist der Leiter des FACE Familienzentrums, zu dem der „Fairkaufladen“ gehört. „Wir wollen hier etwas gegen die Wegwerfgesellschaft tun und gleichzeitig jenen helfen, die nicht so viel Geld haben“, sagt er. Eine Bedürftigkeit müsse man aber nicht nachweisen. „Alle sind willkommen“, sagt er.
Lebensmittel retten
Willkommen sind die Menschen auch im „Café fritz & friedrich“ von Franziska Liebig, 32. Vor vier Monaten hat sie sich mit der Eröffnung einen Traum erfüllt. Sie ist in Heinersdorf geboren und aufgewachsen und lebt heute mit ihren Kindern und ihrem Mann immer noch im Kiez. „Genau hier wollte ich einen gemütlichen Ort schaffen, der zu einem Treffpunkt für die Menschen wird“, sagt sie. Bei ihr gibt es Frühstück, Mittagsgerichte, Kuchen und Waffeln. Doch eine Sache wollte sie nicht: übrig gebliebenes Essen wegschmeißen.
Zwölf Millionen Lebensmittel landen jedes Jahr im Müll, obwohl sie noch genießbar sind, das sind 75 Kilo pro Kopf. Große Mengen werden regelmäßig in Bäckereien, Supermärkten und Restaurants entsorgt. Mittlerweile gehen einige Initiativen in Berlin gegen die Verschwendung von Lebensmitteln vor – und kommen zu Lösungen. SirPlus etwa ist eine neu gegründete Supermarktkette mit vier Standorten in Berlin, die nur übrig gebliebene Lebensmittel verkauft. Wer als Lebensmittelretter*in unterwegs sein möchte, kann sich bei foodsharing. de anmelden. Und auch mit Apps lassen sich Lebensmittel vor der Tonne retten. Eine nennt sich „Too Good To Go“, was übersetzt „zu gut zum Wegschmeißen“ bedeutet. Die Idee dahinter: Restaurants und Supermärkte melden in der App Lebensmittel oder Gerichte, die sie nicht verkauft haben oder bereits kleine Makel zeigen. Nutzer*innen können diese über die App reservieren und für einen sehr günstigen Preis in einem vorgegebenen Zeitfenster abholen. Bezahlt wird vorab online.
Franziska Liebig hat sich mit ihrem Café bei der App als Partnerbetrieb angemeldet und stellt nun jeden Tag zwei Überraschungspakete ein: mit allem, was sie am Tag nicht verkauft hat. „Die Menschen freuen sich richtig über meine Pakete, und ich bin froh, dass ich nichts wegschmeißen muss“, sagt sie. 50 Mahlzeiten konnte sie so schon retten.
Eine regelmäßige Nutzerin der App ist Almut Wetjen. Sie ist 38 Jahre alt und Mutter zweier Kinder. „Ich plane das richtig“, sagt sie. Zum Beispiel fürs Abendessen oder für Ausflüge am Wochenende. Dann reserviert sie sich über die App eines der Überraschungspakete in ihrer Lieblingsbäckerei. „Am nächsten Tag nehmen wir süße Teilchen, belegte Brötchen und Croissants mit auf unsere Tour.“ Vier Millionen Menschen haben die App bereits genutzt und fünf Millionen Mahlzeiten vor der Mülltonne bewahrt.
Natürlich kann man nicht alles retten oder reparieren – aber doch mehr, als man denkt. Es gibt viele Wege, seinen Alltag nachhaltiger und günstiger zu gestalten. So wie Susanna, die vor die Tür des „Repair-Cafés“ tritt und strahlt. In der Hand hält sie ihr Tablet. Es funktioniert wieder. „Hajo und ich haben es zusammen geschafft“, sagt sie. Timm muss sein Waffeleisen leider wegschmeißen: „Ich kann aber mit gutem Gewissen sagen, dass ich alles probiert habe.“
Repair-Café & Co.
Eine Liste von Repair-Cafés in Berlin und Deutschland gibt es hier: www.reparatur-initiativen.de
Den „Fairkaufladen“ finden Sie hier: Wilhelmsruher Damm 159, 13439 Berlin, Informationen unter: 030 9843 6645 oder unter: face-familienzentrum.de/fairkaufladen
Mehr Informationen zu „Too Good To Go“, die App zum Lebensmittelretten, gibt es hier: toogoodtogo.de oder im Google Play Store beziehungsweise im App Store
Text: Karl Grünberg / Fotos: Verena Brüning