Wohnraum für Berlin Ein Plan für die Zukunft
In Berlin fehlen bezahlbare Wohnungen. Die GESOBAU investiert deshalb in neue Bauprojekte wie den Schwyzer Kiez im Wedding. Wir haben drei Mitarbeiter*innen bei den Vorbereitungen begleitet. Ein Bericht über Chancen und Unwägbarkeiten.
Es ist ein Sommertag, wenige Wochen vor dem symbolischen Spatenstich für etwa 150 neue Wohnungen, die im Schwyzer Kiez entstehen sollen. Vögel zwitschern in den Bäumen, ein Mieter pflanzt in seinem kleinen Garten vor dem Haus Blumen in ein Beet. Nicht umsonst trägt der Schwyzer Kiez im Wedding den Beinamen Gartenstadt. „Dieser Charme soll auch dann erhalten bleiben, wenn auf dem Areal drei Neubauten entstehen und Häuser aufgestockt werden“, erklärt Projektleiter Moritz Linke bei einer Begehung. Mit dabei sind seine Kolleginnen Jessica Wirth, Projektleitung Technik-Investitionsmanagement, und Marie-Luise Walk aus dem Kundencenter Investition und Neubau.
Dass sich Neubau, Modernisierung und Aufstockung in der Schillerhöhe – so wird die Siedlung auch bezeichnet – zeitweise überlappen, macht das Projekt besonders komplex. Mit rund 2.200 Wohnungen ist die Schillerhöhe die größte zusammenhängende Siedlung der GESOBAU im Bezirk Wedding. Sie entstand wie viele andere Siedlungsprojekte in Berlin im Rahmen des Wiederaufbaus nach dem Zweiten Weltkrieg. Für die neuen Baumaßnahmen erhält die GESOBAU Unterstützung von der Stadt Berlin – mit einem Sonderfonds fördert sie Großbausiedlungen in Außenbezirken, um vor allem Familien attraktiven und bezahlbaren Wohnraum bieten zu können.
Moritz Linke ist von Anfang an dabei. 2015 betreute er bereits eine Machbarkeitsstudie, die mögliche Bauareale in der Siedlung identifizierte. Mit der Studie wird geklärt, welche städtebaulichen, planungs- und baurechtlichen Belange zu berücksichtigen sind. Notwendige Abstände zu benachbarten Gebäuden werden ausgelotet. Auch muss berechnet werden, was die bestehende Statik zulässt. Linke begleitete die Abstimmungen mit dem Architekten und dem Bauamt. Seit einigen Wochen gibt es die finale Baugenehmigung. „Nun kann es losgehen“, freut er sich. Knapp fünf Jahre Vorarbeit liegen hinter dem 36-Jährigen. 2023 soll das Projekt abgeschlossen sein.
Modern bauen heißt nachverdichten
Berlin wächst – und braucht bezahlbare Wohnungen. Laut Berechnungen der landeseigenen Förderbank IBB aus dem März 2020 fehlen in der Hauptstadt rund 145.000 Wohnungen. Diese Lücke lässt sich nur durch Neubauten schließen. Besonders in der Verantwortung sind die landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften wie die GESOBAU, die momentan rund 40 Neubauprojekte in Berlin vorantreibt.
Um neue Baugrundstücke zu identifizieren, setzt die moderne Stadtplanung auf Nachverdichtung. Das bedeutet zum einen, Baulücken zu schließen. Zum anderen werden Dachgeschosse ausgebaut, Flachbauten aufgestockt oder Gebäude in locker bebauten Siedlungen errichtet. Die Vorteile liegen auf der Hand: Es sind keine zusätzlichen Straßen und Versorgungsleitungen nötig wie etwa in neuen Siedlungen am Stadtrand. Mehr Menschen können in der Innenstadt wohnen bleiben und profitieren von kurzen Wegen zur Arbeit, zum Arzt oder zum Einkaufen.
Fällt der Begriff Nachverdichtung, sind einige Bestandsmieter*innen verunsichert. Sie fürchten Lärm und Staub durch die Bauarbeiten oder zu nah errichtete Häuser. Doch da kann Linke beruhigen: „Es gibt rechtliche Vorschriften, die wir natürlich einhalten.“ Mittelfristig profitierten die Mieter*innen von den Veränderungen, so Linke weiter. Neubauten mit Fahrstuhl und barrierefreien Wohnungen bieten älteren oder körperlich beeinträchtigten Menschen eine langfristige Wohnperspektive im Kiez. Daneben können sich Familien über zwei neue Kindertagespflegeeinrichtungen und weitere Spielplätze im Schwyzer Kiez freuen.
Weichen muss eine betonierte Fläche mit einstöckigen Garagen an der Schwyzer Straße. „Dort wird eines der fünfstöckigen Häuser errichtet, sodass zwischen den Gebäuden eine Art Hof entsteht“, erklärt Moritz Linke bei der Begehung. Mit teils bodentiefen Fenstern und einer gut isolierten Gebäudehülle wird der Neubau aktuellen Standards zum Einsparen von Energie gerecht.
Dachgeschosswohnungen zu bezahlbaren Preisen
Ein großer Teil der älteren Häuser aus den 50er-Jahren wird im Zuge der Baumaßnahmen um ein zusätzliches Geschoss aufgestockt. Linkes Kollegin Jessica Wirth ist dafür zuständig, Kosten, Termine und Qualität der Baumaßnahmen im Blick zu behalten.
Weil sie besonders hell sind und einen weiten Blick über die Stadt bieten, gelten Dachgeschosse als Filetstücke eines Hauses. Von privaten Bauträgern werden sie oft teuer vermietet. Die Gesobau plant hingegen auf den Dächern bezahlbare Wohnungen für durchschnittlich weniger als zehn Euro pro Quadratmeter. Indem die Gesobau nicht nur ein Haus, sondern gleich mehrere aufstockt, sinken die Baukosten. Dieses Vorgehen ermöglicht günstigere Mieten. Denkbar sind für Jessica Wirth auch Grundrisse jenseits der üblichen Single- oder Familienwohnungen. „Wir könnten uns beispielsweise Familien- oder Senioren-WGs vorstellen“, überlegt sie laut.
Spannend am Bauen im Bestand findet die 32-jährige Projektleiterin die Auseinandersetzung mit der alten Bausubstanz. Im Vorfeld der Baumaßnahmen werden Statik und Substanz der Bestandsgebäude geprüft. „Oft kommt es zu unerwarteten Funden wie Schadstoffen, Schwammbefall oder statisch nicht haltbaren Bauteilen, was zusätzliche Maßnahmen notwendig macht und den Umfang des Projektes erweitern kann“, erklärt Jessica Wirth. Auch während der Baumaßnahmen treten manchmal unvorhersehbare Überraschungen auf. Wegen solcher Unwägbarkeiten ist ein Dachaufbau planerisch ähnlich aufwendig wie ein Neubau. Eine besondere Herausforderung ist es, die Aufbauten so zu gestalten, dass sie optisch zur restlichen Fassade und den Neubauten passen. „In der Planung ist momentan ein Aufbau in einer Leichtbauweise mit Holz vorgesehen“, sagt Jessica Wirth. „Die Gestaltung der Fassaden wird mit einem hohen architektonischen Anspruch noch erarbeitet.“
In Gesprächen werden die Bedürfnisse der Mieter*innen ermittelt
Marie-Luise Walk arbeitet im neu gegründeten Kundencenter Investition und Neubau der GESOBAU. In die Projektplanung ist die 31-Jährige bereits lange vor dem ersten Spatenstich involviert. Sie behält die Finanzen im Blick und kalkuliert, welche Arten von Wohnungen benötigt werden und welche Miethöhe angebracht ist. Marie-Luise Walk kümmert sich aber auch darum, dass Mieter*innen informiert werden und den Bauprozess nachvollziehen können. Sind ihre Wohnungen besonders von den Aufstockungen betroffen, bekommen sie für die Bauzeit Ausweichwohnungen und werden beim Umzug von der GESOBAU unterstützt.
Ein kurzzeitiger Auszug zahlt sich aus, denn die Bäder der Bestandsmieter*innen etwa werden im Zuge der Bauarbeiten mit Augenmaß modernisiert. „Im Vorfeld gibt es eine Bestandsbegehung. Wir werden uns jede Wohnung anschauen und Gespräche mit den Mieter*innen führen, um ihre Bedürfnisse zu erfahren und besondere Umstände berücksichtigen zu können“, erläutert Marie-Luise Walk das Vorgehen.
Im Rahmen des „Handlungsprogramms zur Beschleunigung des Wohnungsbaus“ erklärte der Berliner Senat die Neubauten auf der Schillerhöhe zu einem Projekt mit besonderer Dringlichkeit. Alle Faktoren, darunter Eingriffe in die Natur, wurden dennoch eingehend geprüft. „Grundsätzlich versuchen wir immer, so wenige Bäume wie möglich zu fällen“, erklärt Moritz Linke. Um eine alte Eiche zu bewahren, wurde der Baukörper in den Plänen noch einmal in seiner Position gedreht. Die Naturschutzbehörde dokumentierte im Vorfeld Büsche, Bäume und Tiere auf dem Bauareal. „Wir kompensieren alle Veränderungen in der Natur mit entsprechenden Neupflanzungen, das nennt man Eingriffs-/Ausgleichbilanzierung“, erklärt der Projektleiter.
Ein komplexes Projekt mit Unwägbarkeiten
Trotz der besten Vorbereitung weiß das Bauteam aus Erfahrungen mit vorherigen Projekten, dass nicht immer alles nach Plan läuft: Verzögerte Genehmigungen bereiten den Beteiligten schon mal schlaflose Nächte. Denn das bedeutet letztlich, dass alle Folgetermine neu abgestimmt werden müssen. Auch ein harter Winter wäre schlecht und könnte den Zeitplan durcheinanderbringen.
„Wenn man an einigen Projekten mitgearbeitet hat, entwickelt man schnell einen Plan B“, betont Moritz Linke. „Es sind unheimlich viele Rädchen, die bei einem solchen Bauprojekt ineinandergreifen müssen. Man muss die richtigen Stellschrauben kennen.“ Keine Frage: Der Schwyzer Kiez wird sich durch das Bauprojekt verändern, genau wie sich Berlin verändert. Es werden neue Nachbar*innen einziehen, unter ihnen junge Familien, die endlich eine passende Wohnung in der Innenstadt gefunden haben. In den neuen Grünanlagen werden wieder mehr Kinder spielen.
Beim sommerlichen Rundgang ist sich das Bauteam der GESOBAU einig: „Es ist eine tolle Aufgabe, diese Veränderungen in der Stadt sozialverträglich und mit guten Lösungen mitzugestalten“, sagt Jessica Wirth. Sie freut sich bereits auf den Tag, an dem die ersten Umzugswagen vorfahren und im Schwyzer Kiez eine neue Gemeinschaft entsteht.
Text: Judith Jenner / Aufmacherbild: Verena Brüning