Smarte Technik Frau Hilgenfeldts Herdwächter
Mittlerweile gibt es immer mehr digitale und technische Hilfsmittel, die Menschen den Alltag erleichtern und sie dabei unterstützen, in der eigenen Wohnung zu bleiben. Inge Hilgenfeldt hat einige ausprobiert.
„Das Ding hat mir mal das Leben gerettet“, sagt Inge Hilgenfeldt. Sie steht in der Küche ihrer Wohnung im Märkischen Viertel. Über dem Herd ist ein kleiner weißer Kasten angebracht, ein sogenannter Herdwächter. Er hat einen Sensor, der beispielsweise registriert, wenn die Herdplatte zu lange an ist. Die 79-Jährige war eingeschlafen, als sie kochte. „Das Ding hat dann angefangen zu jaulen und die Platte ausgeschaltet“, erzählt sie. Hilgenfeldt ist durch den Lärm aufgewacht, ein Brand konnte verhindert werden.
Die Rentnerin trägt einen Kurzhaarschnitt und spricht mit norddeutschem Akzent, ursprünglich kommt sie aus Kiel. Seit zehn Jahren wohnt sie alleine in ihrer Ein-Zimmer-Wohnung. Hilgenfeldt hat eine große Familie, der Zusammenhalt bedeutet ihr viel. Ihre fünf Kinder und die Enkel*innen schauen regelmäßig nach ihr, sie helfen ihr beim Einkaufen oder putzen ihre Wohnung. Inge Hilgenfeldt hat Probleme mit dem Laufen, manchmal stolpert sie und fällt hin, ab und zu vergisst sie Dinge. Allein wohnen kann für ältere Menschen gefährlich sein. Doch in ein Pflegeheim wollen dennoch die wenigsten, ergab eine aktuelle Forsa-Studie, für die mehr als 1.000 Personen im Alter ab 65 Jahren befragt wurden: Rund 99 Prozent aller Senior*innen möchten so lange wie möglich in ihrem eigenen Haushalt leben.
Inge Hilgenfeldt ist Mieterin der GESOBAU und hat im letzten Jahr von „Pflege@Quartier“ erfahren, einem Gemeinschaftsprojekt des kommunalen Wohnungsbauunternehmens und der AOK Nordost. Unter anderem soll es älteren Menschen ermöglichen, so lange wie möglich in ihrer Wohnung zu bleiben. Mit Hilfsmitteln wie einem digitalen Schlüssel oder einem Hausnotruf werden sie in ihrer Selbstständigkeit unterstützt.
Bis zu zehn Wohnungen werden ausgestattet
„Ich habe mir überlegt, was mir im Alltag helfen würde“, sagt Hilgenfeldt. „Nach einer Woche war schon alles eingebaut.“ Neben dem Herdwächter ist sie vor allem über die Griffe neben der Balkontür und im Bad froh, die der Rentnerin Halt geben und Stürze verhindern. Aber auch die Funkschalter für die Lichter und den Fernseher erleichtern ihr den Alltag. Einer liegt auf dem Nachttisch, sodass sie vom Bett aus das Licht im Flur anschalten kann. Nachts muss sie nicht mehr im Dunkeln aufstehen, wenn sie ins Bad will.
Um den Hals trägt Inge Hilgenfeldt eine Kette mit einem Anhänger, auf dem sich ein roter Knopf befindet. Es ist ein Hausnotruf, drückt sie ihn, melden sich die Johanniter telefonisch bei ihr. Reagiert sie nicht, kommen die Bewegungsmelder ins Spiel, die in allen Räumen an der Decke angebracht sind. Diese registrieren, ob sie sich noch bewegt. Tut sie das nicht, kommen Rettungssanitäter*innen, um nach ihr zu sehen. „Meine Lebensqualität hat sich durch all das sehr verbessert“, resümiert Hilgenfeldt.
Bezahlt wurden ihre Hilfsmittel in der Pilotphase von Pflege@Quartier von der GESOBAU. Insgesamt 30 Wohnungen wurden von 2015 bis 2018 ausgestattet. Jetzt ist das Projekt in ein Wohnkonzept übergegangen: Seit diesem Jahr bezuschusst das Wohnungsbauunternehmen eine Grundausstattung in bis zu zehn Wohnungen im Märkischen Viertel. Und das mit bis zu 2.500 Euro. Digitale Hilfsmöglichkeiten werden derzeit noch nicht von den Kranken- und Pflegekassen übernommen. Die GESOBAU unterstützt ihre Mieter*innen deshalb: Wer eine solche Förderung in Anspruch nehmen möchte, kann sich an seine*n oder ihre*n Kundenbetreuer*in wenden. Das Projektteam von Pflege@Quartier berät die Mieter*innen dann gemeinsam mit einem Technikanbieter oder auch einem Pflegestützpunkt. Für die Grundausstattung ist ein Pflegegrad keine Voraussetzung.
Digitalisierung kann helfen
Deutschland altert. Laut Statistischem Bundesamt könnte 2040 jede*r vierte Deutsche über 67 Jahre alt sein, die Geburtenrate lag 2018 bei 1,57 Kindern pro Frau. Es kommen also nur wenige junge Menschen nach. Der demografische Wandel bringt viele Herausforderungen mit sich, vor allem im Bereich der Altenpflege, in dem es unter anderem an Personal fehlt. Zudem steigen die Kosten im Gesundheitssystem, gleichzeitig zahlen aber immer weniger junge Menschen in die Pflegeversicherung ein.
„Digitalisierung und auch technische Lösungen können da helfen“, sagt Johanna Bembenek. Sie arbeitet beim Pflegestützpunkt Reinickendorf. Wie auch die anderen Pflegestützpunkte in der Stadt wird er durch die Berliner Kranken- und Pflegekassen sowie das Land Berlin getragen.
Bembenek öffnet die Tür einer Musterwohnung im Märkischen Viertel. Die Wohnung gehört zum Bestand der GESOBAU, die Besichtigungen werden immer mittwochs vom Pflegestützpunkt durchgeführt. Interessierte können sich hier Hilfsmöglichkeiten anschauen, wie sie etwa bei Inge Hilgenfeldt eingebaut wurden. Die zwei Zimmer mit Küche, Bad und Balkon sind ausgestattet mit Sensoren an den Decken, mit einem Tablet, über das sich Lichtquellen regulieren lassen, einem digitalen Schlüssel, den man nur an die Tür halten und nicht mehr ins Schloss stecken muss, und einer Leuchte im Wohnzimmer, die das Licht des Tagesverlaufes simuliert. „Das ist für Menschen wichtig, die nicht mehr so viel rausgehen können“, sagt Bembenek.
„Die Menschen wollen so lange wie möglich zu Hause bleiben, und technische Lösungen können dabei helfen“, sagt die Sozialarbeiterin. Die in der Musterwohnung vorgestellten Hilfsmittel und technischen Lösungen erleichtern nicht nur dem*der Einzelnen den Alltag. Sie sind auch auf gesellschaftlicher Ebene relevant: für ältere Menschen und für die Pflegenden – ob Angehörige oder professionelles Personal.
Solche technischen Helfer werden vermutlich immer wichtiger. Sie sorgen dafür, dass ältere Menschen sich sicherer fühlen. „Und das steigert ihre Selbstständigkeit“, sagt Helene Böhm von der GESOBAU. Bislang sei die Resonanz auf das Konzept von Pflege@Quartier sehr positiv gewesen. „Das bestärkt uns darin, das Angebot kontinuierlich auszuweiten und es möglichst vielen Mieter*innen anzubieten.“ Ab Januar 2020 soll es dazu Informationsveranstaltungen geben. Wer mehr erfahren möchte, kann sich an seine*n Kundenbetreuer*in wenden.
Inge Hilgenfeldt ist dann bestimmt wieder dabei. Wie viele ältere Menschen möchte sie alles tun, um unabhängig zu bleiben.
Hilfsmöglichkeiten anschauen
Bitte beachten Sie: Die Musterwohnung ist mittlerweile nach Hellersdorf umgezogen. Auch dort können Sie sich gerne vor Ort informieren.
Offener Besichtigungs- und Beratungstermin (ohne Anmeldung)
Jeden Donnerstag, 9 bis 12 Uhr
Zossener Straße 152, 12629 Berlin-Hellersdorf
Weitere Infos unter Pflege@Quartier-Musterwohnung | Gesobau
Text: Maria Caroline Wölfle / Fotos: Verena Brüning