
Im Kiez
Immer zur Stelle
Ein ganz normaler Tag beginnt für Anja Reimann kurz vor sieben Uhr. Dann startet sie – nach einem kräftigen Kaffee – ihren ersten Gang rund um die 13 Häuser am Senftenberger Ring. Hier ist sie als Hausmeisterin zuständig. Leuchten alle Straßenlaternen und Lampen an den Häusern, liegt Schmutz herum, ist etwas beschädigt, funktionieren die Schranken vor den Parkplätzen? Auf all das achtet sie genau.
Am Morgen ist es noch ruhig. Auch in den Häusern schaut sie nach dem Rechten: Einmal alle Treppen rauf und wieder runter, oftmals sind es sechs Stockwerke. Ab halb acht sitzt die 42-Jährige in ihrem Büro am Senftenberger Ring 42 n.
Reimann ist ein sportlicher Typ, ihre rotbraunen Haare sind kurz geschnitten, ihre Fingernägel sorgfältig manikürt. Sie trägt eine dunkle Hose und einen weinroten GESOBAU-Pullover. Es ist Sprechzeit: Von 7.30 bis 8.30 Uhr nimmt sie sich nun Zeit für die Sorgen und Anliegen ihrer Mieter*innen. Jede*r kann spontan vorbeikommen und findet bei Anja Reimann Gehör. Heute sitzt ihr Winfried Gerstel gegenüber. Der Rentner, gebürtig aus Berlin-Friedrichshain, wohnt seit 25 Jahren im Märkischen Viertel und fühlt sich dort sehr wohl. In einer Zweieinhalb-Zimmer-Wohnung im sechsten Stock fand er ein neues Zuhause, nachdem ihm und seiner Frau damals gekündigt worden war – wegen Eigenbedarf. „Die Luft ist hier sowieso viel besser als mitten in der Stadt“, erzählt er.

Auch das Sauberhalten der Hauseingänge zählt zu Anja Reimanns Aufgaben. Ihr gefällt die Abwechslung
Foto: Verena Brüning
Heute geht es ihm um die Lüftung in seiner Wohnung, die seit einiger Zeit komische Geräusche macht. „Das haben wir schnell im Griff, Herr Gerstel“, verspricht Reimann und macht sich Notizen. Sie beauftragt gleich einen Handwerker. Winfried Gerstel freut sich, dass sich rasch jemand kümmert.
Seine Wohnung ist eine von 400, für die Anja Reimann zuständig ist. Die meisten Menschen kennt sie persönlich, denn sie selbst wohnt ja auch hier. Mit ihrem Mann lebt sie in einer Zweieinhalb-Zimmer-Wohnung im dritten Stock. Dass Reimann einmal Hausmeisterin sein würde, hatte sie selbst nicht erwartet. In Neubrandenburg geboren, absolvierte sie nach der Schule eine dreijährige Ausbildung zur Hauswirtschafterin. Danach arbeitete sie mehrere Jahre in einem Hotel auf Usedom. Dort bekam sie nach einiger Zeit Rückenprobleme, mehrere Bandscheibenvorfälle machten ihr zu schaffen. Nach einer Reha und dem Umzug nach Berlin nahm sie an einer Umschulung teil und arbeitete anschließend für einen Sicherheitsdienst. Sie lotste Besuchergruppen durch den Reichstag und griff im Jobcenter Reinickendorf ein, wenn Besucher*innen dort aggressiv wurden.

Die Hausmeisterin kennt viele Menschen im Kiez. Ein kleiner Plausch zwischendurch gehört zu ihrem Tag
Foto: Verena Brüning
Vor sechs Jahren fand sie den Job als Hausmeisterin bei der GESOBAU im Märkischen Viertel und zog deshalb dorthin. Für sie ist es der ideale Job: „Ich möchte das am liebsten bis zu meiner Rente machen. Ich mag den Kontakt mit Menschen und komme täglich viel herum.“
Und auch ihren Kiez mag sie gern. Wenn sie nach Feierabend oder am Wochenende nicht häkelt, zeichnet oder fotografiert, fährt sie mit ihrem Mann, der als IT-Techniker arbeitet, am liebsten in die Natur. Gerne fahren sie nach Wandlitz oder wandern in der Schorfheide.
Nach der Sprechstunde im Büro steht die übliche Kontrolle der Hauseingänge an. Mit Wischmopp und Putzmittel ausgestattet macht Anja Reimann sich auf den Weg. „Ein reiner Bürojob wäre nichts für mich“, erzählt sie. „Auf meinen Rundgängen begegne ich immer vielen Bekannten.“ Heute ist es Maria Florkow mit Tochter Laura und Oma Janina. Das Mädchen zeigt Anja Reimann ein Bild, das sie in der Kindertagesstätte Krümelkiste gemalt hat. „Ich könnte stundenlang hier herumlaufen und mit den Leuten quatschen“, lacht Reimann.

Anja Reimann hat ein offenes Ohr: Mit ihren Sorgen und Anliegen können die Mieter*innen in ihre Sprechstunde kommen. Heute ist Winfried Gerstel bei ihr
Foto: Verena Brüning
Es ist kalt heute, der Himmel grau, ein typischer Februartag. Dennoch ist es Anja Reimann in ihrer dünnen Jacke nicht kalt. „Wenn man den ganzen Tag draußen ist, friert man nicht“, schmunzelt sie. Sie läuft an einer großen Baustelle vorbei. Das Viertel wächst, zahlreiche neue Häuser entstehen hier. Vor einem der Eingänge zeigt sie auf ein Graffito. „Wenn ich sowas sehe, ärgere ich mich, das lassen wir rasch entfernen.“ Die meisten Eingangsbereiche, für die sie zuständig ist, wurden vor einigen Jahren frisch renoviert.
Ihr Telefon klingelt, ein Mieter hat ein Problem mit der Gegensprechanlage. „Ich kümmere mich drum“, verspricht Reimann – ein Satz, den sie häufig sagt und den sie auch in die Tat umsetzt. „Ich freue mich, wenn ich anderen Menschen helfen kann.“ Hand anlegen und die Dinge rasch und unkompliziert regeln, das ist ihr Ding. Was ihr wichtig ist: fair und solidarisch miteinander umgehen. Traurig findet sie, wenn Menschen nach einem langen Berufsleben nicht von ihrer Rente leben können und Flaschen sammeln müssen, um sich ein paar Euro dazuzuverdienen. Sie findet das ungerecht.
Natürlich klappt nicht immer alles. Dann löst Reimann die Probleme am liebsten im persönlichen Gespräch. „Spricht man Dinge direkt an, gibt es am wenigsten Ärger.“ Als sich in einem der Häuser mal eine Weile lang Altpapierkartons stapelten, redete Reimann mit den Mieter*innen und hängte ein Schild auf: „Kartons bitte zerlegen“. Seitdem funktioniert es.
Mit manchen Mieter*innen ist Reimann mittlerweile sogar befreundet. Mit Karlheinz Röhl und seiner Frau Renate etwa. Zu ihnen kommt sie gern auf einen Kaffee vorbei, wenn es ihr Zeitplan erlaubt. Die beiden leben seit 52 Jahren im Märkischen Viertel und haben sich ihre Zweizimmerwohnung gemütlich eingerichtet. Sie schätzen die Vorteile ihres Kiezes: „Auch im Alter kann man hier prima einkaufen“, sagt Karlheinz Röhl.
Am Nachmittag ist Anja Reimann wieder in ihrem Büro, Schreibtischarbeit steht an. Alle Aufträge von Mieter*innen gibt sie weiter. Gegen 16 Uhr macht sie Feierabend. Nach Hause muss sie nur ein paar Meter laufen. Auch das mag sie an ihrem Job.
Text: Annette Walter, Fotos: Verena Brüning