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Gesobau

Nachrichten an die Zukunft

Ende Mai wurde der Grundstein für das neue Theodor Quartier im Märkischen Viertel gelegt, in dem Wohnraum für bis zu 800 Menschen entsteht. Wir waren bei dem feierlichen Moment dabei und fragten: Was ist eigentlich eine Zeitkapsel?

Vielleicht gräbt ein Fußballfan sie ja mal aus: „Union Berlin muss in die Verlängerung“ steht auf dem Titel des „Tagesspiegels“ vom 20. Mai 2019. Neben der Schlagzeile zeigt ein Foto zwei erschöpfte Spieler. Die Berliner Senatorin für Stadtentwicklung und Wohnen, Katrin Lompscher, rollt die Zeitung zusammen und steckt sie in einen Zylinder aus Kupfer.

Dieses 35,5 Zentimeter lange und 8,7 Zentimeter dicke Kupferrohr ist eine Zeitkapsel. Am 20. Mai wird sie symbolisch in einem aus weißem Stein gemauerten Podest, das in einer großen Baugrube steht, versenkt. Der Anlass: die Grundsteinlegung für 388 neue Wohnungen am Senftenberger Ring im Märkischen Viertel, zu der die GESOBAU an diesem Tag eingeladen hat.

Neben Senatorin Lompscher befüllen auch der Bezirksstadtrat in Reinickendorf, Uwe Brockhausen, der Vorstandsvorsitzende der GESOBAU, Jörg Franzen, und die Architektin der Arbeitsgemeinschaft Theodor Quartier, Julia Dahlhaus, feierlich die Zeitkapsel – mit Kleingeld, einem Informationsflyer über die Bebauung sowie den Bauplänen für die sechs neuen Wohnhäuser.

Ein Pfannenwender und Donald Duck

Zeitkapseln sind Botschaften an die Zukunft und die nächsten Generationen. Sie werden mit Dokumenten, Fotos, Münzen und manchmal auch persönlichen oder symbolischen Gegenständen befüllt. Später, so die Idee, sollen die Menschen ein besseres Bild davon bekommen, wie wir gelebt haben. Tatsächlich sind die Zeitkapseln ein schönes Symbol, das zeigt, dass die Menschen auch an ihre Nachfahr*innen denken.

In Deutschland sind Zeitkapseln in den letzten Jahrzehnten immer beliebter geworden. Auf die Idee, solche Botschaften an die Zukunft zu richten, ist man aber schon früher gekommen. Wann genau die erste Zeitkapsel befüllt wurde, lässt sich nicht zurückverfolgen. Klar ist aber, dass es sie schon seit Jahrhunderten gibt. In einem Kloster in Südtirol wurde beispielsweise schon im Jahr 1491 eine Liste aller Klosterbrüder in eine Kugel gelegt, die auf dem Kirchturm angebracht war. Ab dem 17. Jahrhundert wurden solche Turmkugeln dann nicht mehr nur mit wichtigen Dokumenten gefüllt, sondern auch mit Münzsätzen oder Briefen von Pfarrern. In den USA wurde die Idee, ein Stückchen Zeit zu konservieren, um 1900 sehr populär. Thornwell Jacobs etwa, der damalige Präsident der Oglethorpe Universität in Georgia, ließ 1936 das ehemalige Schwimmbad der Universität zu einer riesigen Zeitkapsel umbauen. In dieser „Krypta der Zivilisation“ liegen in Stickstoff zahlreiche Mikrofilme mit Schriftstücken, die Jacobs für wichtig hielt, beispielsweise die Bibel. Außerdem sind dort Tausende Alltagsgegenstände der 1930er-Jahre aufeinandergestapelt, darunter Schreibmaschinen, Telefone, ein Pfannenwender sowie eine Donald-Duck-Puppe. 1940 wurde der riesige Raum endgültig versiegelt. Geöffnet werden soll er erst im Jahr 8113.

Noch länger wird es bei der Zeitkapsel KEO dauern. Die Titankugel mit 80 Zentimetern Durchmesser soll in diesem Jahr an Bord einer Rakete ins All geschossen werden. In einer rund 200 Kilometer hohen Umlaufbahn umkreist sie dann die Erde. Die Umlaufbahn ist so berechnet, dass die Zeitkapsel erst nach 50 000 Jahren wieder auf die Erde trifft. Ihr Inhalt: ein Verzeichnis des menschlichen Genoms, Blutproben, Salzwasser und ein bisschen Erde; außerdem Fotos von Menschen aller Kulturen und Tausende Briefe, die aus der ganzen Welt an die Erdbewohner*innen der Zukunft geschrieben wurden.

Immer wieder werden Zeitkapseln zufällig wieder¬gefunden. Ende April zum Beispiel in der Nähe von Passau. Auf einer Baustelle stießen Handwerker auf eine Metallkapsel aus dem Jahr 1925. Darin befanden sich ein Brief des damaligen Stadtrates, eine Zeitung und Geldscheine.

Um nicht den Überblick über all die mehr oder weniger offiziellen Zeitkapseln zu verlieren, die es mittlerweile gibt, hat sich im Jahr 1990 die Internationale Zeitkapselgesellschaft gegründet. Sie dokumentiert alle vorhandenen Zeitkapseln und will sie so vor dem Vergessen bewahren. Die Zeitkapselgesellschaft geht davon aus, dass nur eine von 1000 Zeitkapseln tatsächlich wieder geöffnet wird.

Was Berlin braucht

Und die Zeitkapsel der GESOBAU? Die wird erst ausgegraben, wenn der Bau darüber in ferner Zukunft abgerissen oder umgebaut wird. Wie viele Menschen dann im Märkischen Viertel wohnen, weiß niemand. Heute sind es jedenfalls rund 40 000, und in zwei Jahren kommen in dem neuen Theodor Quartier etwa 800 weitere Bewohner*innen dazu. Bis 2021 sollen die sechs Wohnhäuser am Senftenberger Ring nämlich fertig sein. Seinen Namen hat das Quartier übrigens von dem Dichter Theodor Fontane, der vor 200 Jahren im Brandenburger Neuruppin geboren wurde.

„An diesem Projekt zeigt sich besonders gut, was Berlin braucht“, sagt Senatorin Lompscher während ihrer kurzen Rede zur Grundsteinlegung. Was sie meint: Im Theodor Quartier wird Wohnraum für alle Generationen und Einkommen geschaffen, beispielsweise 50 barrierefreie Seniorenwohnungen. Außerdem entsteht eine Kita für 120 Kinder, geplant sind Grün- und Sportflächen, Spielplätze und Stellplätze für Fahrräder und Autos. Auf einem campusähnlichen Areal wird es mehrere Begegnungsräume geben. Grün werden zudem nicht nur freie Flächen zwischen den Häusern, sondern auch deren Dächer. Auf einer 20 Zentimeter dicken Schicht sollen einheimische Gräser und Kräuter wachsen. Sie speichern das Wasser und verhindern, dass Flächen und Keller nach Starkregenfällen volllaufen. Zudem regulieren sie bei starker Hitze das Stadtklima. Und: 60 Prozent der Wohnungen werden für eine Nettokaltmiete von 6,50 Euro pro Quadratmeter vermietet.

Bauherrin des Großprojektes ist die GESOBAU. Sie arbeitet dabei mit verschiedenen Partnern zusammen, etwa mit der mib – märkische ingenieur bau GmbH als Generalplaner.

Die Menschen leben gern hier

Die GESOBAU baut seit 2014 wieder neu und will ihren Wohnungsbestand bis zum Jahr 2026 auf rund 52 000 Wohnungen anwachsen lassen. „Im gesamten Quartier gibt es nur 0,5 Prozent Leerstand“, sagt GESOBAU-Vorstand Jörg Franzen. Die Fluktuation, also die Zahl der Umzüge, liege bei weniger als fünf Prozent. Das heißt: Im Märkischen Viertel leben die Mieter*innen gern und lange, im Schnitt sind es 15 Jahre.

Zwei, die schon seit Jahrzehnten im Märkischen Viertel wohnen, sind Uwe Janke und Heiner Svatos, Janke seit 1966 und Svatos seit 1969. Als zukünftige Nachbarn des neuen Quartiers waren sie zur Grundsteinlegung gekommen und sehr angetan von dem Bauprojekt. „Im Theodor Quartier ist wirklich für alle was dabei“, sagte Janke. „Es ist ein positiver Beitrag zum Märkischen Viertel.“ Und Svatos meint: „Gut und wichtig ist vor allem, dass die GESOBAU hier versucht, bezahlbaren Wohnraum zu schaffen – davon gibt es zu wenig.“

„Der Stein, der in den Grund gelegt, ist der, auf dem das Haus mal steht.“ Holger Bruchmann ist Vorarbeiter auf der Großbaustelle. In Cordhose und -weste gekleidet und mit einem gelben Helm auf dem Kopf liest er diese Zeilen vor und steckt dann feierlich die GESOBAU-Zeitkapsel in das steinerne Podest. Dann nimmt er einen Stein und setzt ihn mit Zement in die Öffnung. Jörg Franzen, Katrin Lompscher, Uwe Brockhausen und Julia Dahlhaus setzen weitere Steine ein – am Ende ist die Kapsel eingemauert.

Das Theodor Quartier ist das größte Bauvorhaben am Senftenberger Ring, seit das Märkische Viertel vor etwa 60 Jahren entstanden ist. Was die Menschen in 100, 200 oder noch mehr Jahren darüber denken, wenn sie die Zeitkapsel der GESOBAU einmal ausgraben, lässt sich nicht voraussagen. Sie wissen dann aber auf jeden Fall, dass Union Berlin im Mai 2019 den Aufstieg geschafft hat.


Text: Maria Caroline Wölfle; Fotos: Verena Berg


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