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Wo die Wärme wächst

Im Kiez

Wo die Wärme wächst

Seit Januar 2019 heizen Tausende Mieter*innen im Märkischen Viertel klimafreundlich mit Holzhackschnitzeln. Die Bäume dafür wachsen größtenteils in Brandenburg – zum Beispiel auf dem Agrarhof von Annika Gärtner.

Um zu verstehen, was hinter dem etwas sperrigen Begriff „Kurz­umtriebs­plantage“ steckt, reicht ein Blick auf die Pappeln, die auf den Feldern des Agrar­unter­nehmens Berghof nur so aus dem Boden sprießen: Mit ihren rundlichen, vorne spitz zulaufenden und an den Rändern leicht welligen Laub­blättern stehen sie in unzähligen Reihen neben- und hinter­einander. Die Pappeln sind jetzt sechs Monate alt und ungefähr zwei Meter hoch.

Wir sind in Rieplos, einem Ortsteil von Storkow circa 65 Kilometer südöstlich von Berlin im Landkreis Oder-Spree. „Anfang des Jahres wurden hier sämtliche Pappeln direkt über dem Boden abgeschnitten und gleich zu Holz­hack­schnitzeln zerkleinert“, sagt Annika Gärtner, die zusammen mit ihrer Schwester Jeanette und ihren Eltern den genossenschaftlich organisierten Familien­betrieb Berghof führt. „Da waren die Bäume etwa fünf Meter hoch.“ Nun, ein halbes Jahr später, haben die Stümpfe wieder ausgetrieben und sind ordentlich in die Höhe und Breite geschossen. „Dadurch wird der Ertrag bei der nächsten Ernte noch deutlich größer sein.“

Die Pappeln wachsen ohne viel Zuarbeit. „Wir mussten uns hier nach dem Anpflanzen lediglich um das Unkraut kümmern, seitdem mulchen wir nur noch“, erklärt Annika Gärtner. Beim Mulchen bedecken sie den Boden mit unverrotteten organischen Materialien wie etwa Kompost, Stroh oder Laub. Das war nur zu Beginn notwendig, schon nach ein paar Monaten mussten sie die Plantagen fast gar nicht mehr bewirtschaften. Auf den ersten Blick wirkt das Ganze wie ein undurch­dringliches Feld. Doch bei näherem Hinsehen sind Wege zwischen den Reihen erkennbar. Die Triebe sprießen in alle Richtungen. Zwischen den Reihen wachsen Gräser und Kräuter – ein wertvoller Lebens­raum für Insekten, Vögel, Hasen und auch Rehe, die hier im Unterholz Schutz finden.

Wärme für 13.500 Wohnungen

Kurzumtriebsplantagen, kurz KUP, sind „Energiewälder“ aus schnell wachsenden Bäumen. Dazu zählen Pappeln, Weiden oder Robinien. Sie werden alle drei bis vier Jahre zu rück­geschnitten und gehäckselt, in zwei bis zehn Zentimeter große Schnitzel. Das nennt man ernten. 25 bis 30 Jahre lang ist das möglich. Danach werden die Flächen wieder in Ackerland umgewandelt. Frisch geschnitten hat das Holz noch einen hohen Wasser­gehalt, deshalb lagern sie erst mal zum Trocknen in großen Haufen unter freiem Himmel. Wenn es regnet, fließt das Wasser einfach ab. Bereits nach wenigen Monaten sind die Holz­hack­schnitzel trocken genug. Dann können sie zur umwelt­freundlichen Energie­erzeugung in Heiz­kraft­werken verbrannt werden.

Die gehäckselten Pappeln vom Berghof landen im Biomasse-Kraftwerk von Vattenfall im Märkischen Viertel in Berlin-Reinickendorf. Dieses Kraftwerk sorgt in rund 13.500 Wohnungen der GESOBAU für Wärme. Und zwar CO2-neutral, denn beim Verbrennen gelangt nur so viel CO2 in die Atmosphäre, wie die Bäume während ihres Wachstums auch in ihrem Holz gebunden haben. „Wir haben 2010 mit Vattenfall eine Klima­partnerschaft für das Märkische Viertel geschlossen und diese 2019 erneuert und erweitert. Sie beinhaltet seitdem die Wärmeversorgung mit 100 Prozent regenerativen Roh­stoffen“, erläutert Georg Unger, Leiter der Abteilung Technik bei der GESOBAU. „Teil der Vereinbarung war der Umbau des ursprünglich konventionellen Heiz­kraft­werkes zu einer mit Biomasse betriebenen Kraft-Wärme-Kopplungsanlage.“ Solche Anlagen erzeugen gleich­zeitig Wärme und Strom und nutzen den Brennstoff dadurch besonders effizient. Die erzeugte Energie kann direkt vor Ort genutzt und muss nicht erst kilometerweit transportiert werden.

Vattenfall hat das einstige Kohlekraftwerk im laufenden Betrieb umgebaut, ohne dabei die Wärme­versorgung zu unter­brechen. Und das in einem denkmal­geschützten Gebäude. „Das war ein Projekt mit vielen Heraus­forderungen“, sagt Vattenfall-Sprecher Olaf Weidner. Aus dem früheren Kohlebunker in der Wallenroder Straße wurde die Holz­lager­fläche. Allein für die Turbine durfte ein Neubau errichtet werden, in enger Abstimmung mit dem Denkmalschutzamt. Damit die Anwohner*innen nicht durch Staub bei der Holz­anlieferung oder Lärm während des Betriebs gestört werden, verlagerte Vattenfall so viele Betriebs­abläufe wie möglich in das Innere des Gebäudes. Nun, nach dem erfolg­reichen Umbau, werden hier im Jahr etwa 70.000 Tonnen Holzhackschnitzel verbrannt – und im Märkischen Viertel jährlich rund 7.800 Tonnen CO2 eingespart.

Ein Feld

Eine Pappelplantage in Brandenburg. Die Bäume sind schnell wachsende Rohstoffe. Innerhalb eines Jahres werden aus den Trieben ein Meter hohe Bäume

Foto: Verena Brüning
Bei der Ernte

Alle drei bis vier Jahre werden die Pappeln zurückgeschnitten. Die sogenannte Ernte findet nur im Winter statt

Foto: imago images / Marius Schwarz

Ernte im Winter

Seit 2014 stellen Annika Gärtner und ihre Familie Vattenfall Flächen für Kurz­umtriebs­plantagen zur Verfügung. Sie verteilen sich auf drei Felder, insgesamt 18,6 Hektar – das entspricht in etwa der Größe von 26 Fußball­feldern. Die Flächen lagen zuvor teilweise brach. „Der Boden hier ist sehr sandig und der Anbau von Getreide und anderen Acker­kulturen wenig wirtschaftlich“, erläutert Gärtner. Pappeln seien hingegen äußerst anspruchs­los. „Außerdem bilden sie sehr tiefe Wurzeln, die auch in trockenen Jahren die wasser­reichen Schichten erreichen.“ Die Hitze der letzten Sommer konnte ihnen also nicht viel anhaben. Sechs Jahre lang hatten sie Zeit zum Wachsen, bis sie in diesem Jahr erstmals geerntet wurden. „Das nächste Mal dürfte es in drei bis vier Jahren soweit sein“, sagt Gärtner. Geerntet wird immer im Winter. „Dann sind keine Blätter an den Pappeln, die Erntemaschinen können auf den frost­harten Böden leichter fahren, und es gibt keine Schädlinge.“ Außerdem treiben die Bäume durch den Rück­schnitt während der winterlichen Vegetations­ruhe im Frühling besser aus. Das Laub bleibt auf den Feldern liegen und dient als natürlicher Dünger.

Die KUP machen nur einen Teil der Berghof-Genossen­schaft aus. Der Hof des Agrar­unternehmens war zu DDR-Zeiten eine LPG. Heute zeugen davon noch die typischen grau gehaltenen Gebäude. „Hier hat schon mein Vater gearbeitet“, erzählt Gärtner. Die 1991 gegründete Genossenschaft mit 16 fest angestellten Mitarbeiter*innen und zwei Auszubildenden hält auch 200 Milchkühe sowie 300 Mutterkühe. Auf einem Feld gleich hinter dem Berghof wachsen Kartoffeln, die die Genossenschaft direkt auf dem Hof verkauft. „Insgesamt bewirtschaften wir 2.000 Hektar, 610 Hektar davon dienen als Weide für die Kühe“, sagt Annika Gärtner.

Abfahrbereit

Auf dem Weg zu einer weiteren Plantage im nahe gelegenen Ortsteil Alt-Stahnsdorf kommen wir an Feldern voller Roggen, Silomais, Gras, Weizen, Gerste, Hafer, Raps und Lupinen vorbei, die die Genossenschaft vor allem als Futter für die eigenen Tiere anbaut. Vor einem Waldstück türmen sich noch die letzten Holz­hack­schnitzel. Jetzt, in den Sommer­monaten, holt Energy Crops, ein Tochter­unternehmen von Vattenfall, die Hack­schnitzel nach und nach mit einem Lkw ab und transportiert sie zum Biomasse-Heiz­kraft­werk im Märkischen Viertel. Dort sind sie sofort einsatz­bereit. „Momentan fährt der Lkw drei Ladungen pro Tag. Was hier jetzt noch liegt, ist nur das restliche Drittel vom ursprünglichen Haufen.“ Das meiste ist schon in Berlin – bereit, um die Mieter*innen der GESOBAU auch im nächsten Winter mit 100 Prozent CO2-neutraler Wärme zu versorgen.

 

Aktiv für den Klimaschutz

Zwischen 2008 und 2015 hat die GESOBAU ihren Wohnungs­bestand Märkischen Viertel umfassend energetisch modernisiert – zu Deutschlands größter Niedrig­energie­siedlung: Die Fassaden wurden gedämmt, die Fenster aus­getauscht, die Heizungs- und Lüftungs­anlage erneuert. Dadurch reduzierte sich der jährliche CO2-Ausstoß der zwischen 1963 und 1974 gebauten Gebäude von 43.000 auf nur noch 11.000 Tonnen. Und nicht nur das: Auch die Betriebs­kosten für Heizung und Warm­wasser sind durch­schnittlich um rund 47 Prozent gesunken. In anderen Quartieren setzt die GESOBAU zusammen mit den Berliner Stadt­werken Mieter­strom-Projekte um: Beispiels­weise nutzen seit 2017 mehr als 1100 Haushalte im Panke­viertel Sonnen­strom vom eigenen Dach. Die Photo­voltaik­anlage in der Größe eines Fußball­platzes erzeugt im Jahr rund 520.000 Kilo­watt­stunden Strom und spart 290 Tonnen CO2.


Text: Kristina Simons; Aufmacherbild: Annika Gärtner vor einer Pappelplantage auf ihrem Agrarhof in Brandenburg (Foto: Verena Brüning)


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