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Eine Frau entsorgt Müll in der Mülltonne

Im Kiez

Von der Tonne in den Tank

Berliner*innen müssen ihren Bioabfall separat entsorgen. Doch was passiert mit dem Müll? Er wird zu Kompost – und zu Kraftstoff

Jessica lebt mit ihrem Mann und ihren zwei Kindern in Pankow. Die Familie bekommt wöchentlich eine Kiste mit Bioobst und -gemüse und kocht jeden Tag frisch. Dabei entsteht viel Abfall: Kartoffelschalen, Melonenreste, Apfelgriebse. Die 44-Jährige sammelt den Biomüll in einem kleinen Plastikeimer. Sobald der voll ist oder unangenehm riecht, entsorgt sie den Inhalt in der Biomülltonne, die im Hof ihres Hauses steht.

Biomülltonnen gibt es in Berlin schon seit 20 Jahren, doch erst seit April dieses Jahres ist das Sammeln von Biomüll Pflicht. Ausgenommen sind nur jene, die ihre Bioabfälle selbst kompostieren können. Die Tonnen werden alle zwei Wochen geleert, Müllwagen fahren die Abfälle nach Ruhleben. Täglich bringen bis zu 35 Müllfahrzeuge Bioabfall aus ganz Berlin hierher. Doch was passiert mit dem Apfelrest, der in Jessicas Tonne gelandet ist? Wir sind hingefahren und haben nachgeschaut.

Die Biogasanlage befindet sich in einem typischen Industriegebiet. Weite Hallen sind zu sehen, große Tanks, überdimensionale Rohre. Es raucht und dampft. Die Stadt scheint hier weit weg.

„Wir vergären hier, in Deutschlands modernster Fermentierungsanlage, jedes Jahr knapp 70000 Tonnen Bioabfall zu klimafreundlichem Biogas“, sagt Thomas Klöckner, Sprecher der Berliner Stadtreinigung (BSR). „Die trockenen und flüssigen Gärreste geben wir unter anderem als Kompost und Dünger in die Landwirtschaft ab, wo sie die sandigen Brandenburger Böden verbessern.“

Außerdem nutzt die BSR das Gas zum Betanken ihrer gasbetriebenen Müllfahrzeuge. Inzwischen sind es schon 160. „Über 60 Prozent des Berliner Restmülls und Bioabfalls fahren wir klimaneutral und ohne Dieselruß ab“, sagt Klöckner. Das sei bislang einmalig in Deutschland. „So sparen wir rund 2,5 Millionen Liter Diesel im Jahr. Außerdem vermeiden wir jährlich den Ausstoß von 9000 Tonnen Kohlendioxid.“ Das Sammeln von Biomüll leistet also einen wichtigen Beitrag zum Klima- und Umweltschutz.

Gerade fährt ein Müllauto ein. Zunächst muss es auf die elektronische Waage. Dann geht es weiter zur Aufbereitungshalle. Hier ist es ziemlich warm. Und es riecht – süßlich, säuerlich, faulig. Nicht sehr angenehm jedenfalls. Rückwärts fährt der Müllwagen an eines der beiden Tore und kippt seine Fracht in die Halle – Berge einer grau-grün schimmernden Masse. Der Apfelrest aus Jessicas Küche ist ein winziger Teil davon.

Biomüll, den die BSR in den Siedlungsgebieten sammelt, ist zu etwa 80 Prozent Gartenabfall wie Strauch- und Heckenschnitt oder Laub. In der dicht besiedelten Innenstadt sind hauptsächlich Küchenabfälle in der Biotonne. Die eignen sich besser für die Vergärung als Gartenabfälle. Hat der Müllwagen seine Fracht entladen, wird der Abfall vorsortiert. Ein Magnet fischt Metallteile heraus, die natürlich nicht in die Biomasse gehören. Über mehrere Förderbänder gelangt die Masse dann in eine Siebtrommel, die an eine gigantische Wäschetrommel erinnert. Sie hat einen Durchmesser von zweieinhalb Metern und ist sieben Meter lang.

Was verwertet werden kann, fällt durch die Löcher der Trommel. Die sind nur fünf Zentimeter groß. Ganze Brotlaibe passen da beispielsweise nicht durch. Die werden umgeleitet, zerkleinert und kommen dann in die Trommel zurück. Die aussortierten Kronkorken, Löffel und Dosen sowie Plastiktüten aller Art werden anderweitig entsorgt. Sogar Teile von Fernsehern oder halbe Baumstämme holen die Mitarbeiter*innen der BSR schon mal aus der Trommel.

Wir können kaum glauben, was alles im Biomüll landet. Und das, obwohl die BSR die Berliner*innen gut informiert hat – mit Faltblättern, auf denen steht, was in den Biomüll gehört und was nicht. Wer trotzdem noch unsicher ist, kann das alles auch auf der Website des Unternehmens nachlesen. BSR-Sprecher Klöckner sagt, je anonymer die Menschen leben, desto schlechter werde getrennt. Am besten klappe es in Einfamilienhaussiedlungen, wo jeder jeden kennt. In großen Mietshäusern nähmen es die Leute hingegen nicht immer so genau. Wenn kein Platz mehr ist im Restmüllbehälter, lande der Restmüll eben in der Biotonne. Sieht ja keiner.

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Alles, was aus der Siebtrommel fällt – die Reste von Jessicas Apfel gehören dazu –, wird von Förderbändern in einen großen Behälter transportiert, den sogenannten Puffer. „Der muss immer voll sein, unsere Anlage arbeitet schließlich rund um die Uhr, auch an den Feiertagen“, sagt Thomas Klöckner. Die Bakterien, die von dem Bioabfall leben und dabei Gas produzieren, müssen gefüttert werden. „Die sind ständig hungrig und haben keinen Feierabend.“

Durch ein Rohrsystem wird die Biomasse in die Fermenter gedrückt. Das sind zwei luftdicht abgeschlossene Betonbehälter ohne Fenster und Türen. Jeder hat einen Querschnitt von acht mal acht Metern und ist mehr als 40 Meter lang. Nur oben unter dem Dach befindet sich eine kleine Scheibe aus dickem Spezialglas. Durch sie können die Mitarbeiter*innen die Arbeit der Bakterien beobachten und die großen Stahlpaddel kontrollieren, die sich im Inneren der Fermenter befinden und die dickflüssige Masse hin- und her bewegen. Dabei bilden sich Gasbläschen, die nach oben steigen und durch Rohre in einen Zwischenspeicher gelangen. „Im Durchschnitt produzieren wir stündlich 700 Kubikmeter Rohgas“, sagt Thomas Klöckner. Das macht im Jahr 6,5 Millionen Kubikmeter – damit könnte man jährlich rund 3500 Haushalte versorgen.

Es dauert drei Wochen, bis die Bakterien den Bioabfall „aufgefressen“ haben. Damit sie ganze Arbeit leisten können, wollen sie es warm haben. Im Fermenter herrschen deshalb Temperaturen von 53 bis 55 Grad Celsius. Während des Gärungsprozesses entsteht aber nicht nur Gas. Flüssige Reste werden in einer großen Presse, ähnlich einer Saftpresse, entwässert. Übrig bleibt ein immer noch recht flüssiger Brei. Dieser kommt in Tanks und wird als Dünger in der Landwirtschaft genutzt. Feste Reste werden mit Sauerstoff angereichert und zu Kompost verarbeitet.

Auf dem BSR-Hof an der Forckenbeckstraße in Wilmersdorf treffen wir Müllwerkerin Sharleen Peters. Sie schließt gerade ihren großen orangefarbenen Lkw an eine Gaszapfsäule an. Die sieht ganz unscheinbar aus, grau und etwas schlanker als Benzinzapfsäulen. Es dauert ungefähr sieben Minuten, bis der Gastank des Müllautos voll ist. Es sei ein gutes Gefühl, täglich mit dem Lkw unterwegs zu sein, ohne der Umwelt zu schaden, sagt Sharleen Peters. Vorsichtig zieht sie das Zapfventil aus dem Tank und hängt den Schlauch zurück an die Zapfsäule. Bevor sie in ihren Lastwagen steigt, prüft sie noch kurz, ob die Tankklappe richtig geschlossen ist. Langsam rollt sie dann vom Hof. An manchen Tagen auch Richtung Pankow, um die Biotonne zu leeren, in der Jessica ihre Abfälle entsorgt.

Was gehört in die Biogut-Tonne?

Was in die Bio-Tone gehört und was nicht, lesen Sie hier: bsr.de 

Lebensmittel retten – Wie geht das?

Laut einer Studie der Gesellschaft für Konsumforschung wandern jährlich mindestens 55 Kilogramm Lebensmittel pro Kopf in den Müll. Das sind rung 150 Gramm täglich. „Zu gut für die Tonne“ ist eine Initiative, die sich für die bewusste Wertschätzung von Lebensmitteln einsetzt – zugutfuerdietonne.de
Verschwendung zu vermeiden, ist auch das Ziel des Onlineshops SIR PLUS – hier gibt es Boxen mit geretteten Lebensmitteln zu kaufen – sirplus.de
Mit der App Too Good To Go können sogar ganze gerettete Mahlzeiten zu vergünstigten Preisen bestellt werden – toogoodtogo.de


Text: Regina Köhler; Fotos: Verena Brüning, BSR (2)


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