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Eine Stadt für alle

Im Kiez

Eine Stadt für alle

Je nach Alter, Geschlecht oder Handicap eines Menschen unterscheiden sich auch die Erwartungen an öffentliche Parks, Straßen und Plätze. Die Landschaftsarchitektin Barbara Willecke spricht im Interview darüber, wie diese Räume für alle sicherer und lebenswerter werden

Frau Willecke, wann ist Stadtplanung eigentlich gerecht?
Im Moment sprechen viele über eine gendergerechte Stadtplanung. Es geht also um Planung, die die unterschiedlichen Bedürfnisse von Mann und Frau berücksichtigt. Diesen Blick würde ich gerne weiten: Menschen unterscheiden sich ja in vielerlei Hinsicht. Sie sind unterschiedlich alt und befinden sich deshalb in ganz unterschiedlichen Lebensphasen. Manche haben auch eine Behinderung, stoßen deshalb also unter Umständen auf Hindernisse. Ich versuche in meiner Arbeit, die sich daraus ergebenden Bedürfnisse zusammen anzuschauen.

Wie zeigt sich Ungerechtigkeit im öffentlichen Raum?
Wenn im Alltag Barrieren entstehen oder der Alltag für Menschen nicht gut zu bewältigen ist, liegt etwas im Argen. Das passiert dann, wenn Personen in der Verwaltung nicht genug über den Alltag der Menschen wissen oder ihn nicht ernst nehmen. Es ist wichtig, diese unterschiedlichen Bedürfnisse zu erkennen. Die Menschen sollten bei der Planung beteiligt werden – je nach Geschlecht, Alter, kulturellem und sozialem Hintergrund sowie Förderbedarf. Sie wissen schließlich am besten, was sie in ihrem Leben brauchen. Wenn die Menschen dann fühlen, dass sie wertgeschätzt werden, geben sie diese Wertschätzung auch zurück. Es gibt weniger Vandalismus, Menschen kommen zusammen, und die Zufriedenheit steigt. Wenn Sie irgendeine Gruppe in der Planung öffentlicher Räume nicht berücksichtigen, erzeugt das Probleme.

Diese Planung beeinflusst also das Verhalten der Menschen?
Ja, das beobachten wir zum Beispiel auf Spielplätzen: Wir haben gute Erfahrungen damit gemacht, Spielräume neutraler zu gestalten. Dadurch können sich gesellschaftliche Ideen von Jungs- und Mädchenaktivitäten schnell ändern. Plötzlich klettern Mädchen in schwindelnder Höhe, und Jungs spielen ruhig in einem Häuschen. Wir wollen jedem unterschiedliche Wahlmöglichkeiten anbieten. Rollenmuster sollen dabei nicht zementiert, die Unterschiede dennoch anerkannt werden.

Sind die Bedürfnisse der Menschen wirklich so unterschiedlich?
Bei Frauen und Männern ist es nach wie vor so, dass Frauen mehr Familienarbeit erledigen, weniger Ein­kommen haben. Deshalb sind sie viel häufiger draußen unterwegs. Sie organisieren die Einkäufe, fahren häufiger mit den öffentlichen Verkehrsmitteln und sind mit mehr Gepäck unterwegs. Auch was das Thema Sicherheit angeht, haben Frauen andere Bedürfnisse. Sie wünschen sich beispielsweise oft eine bessere Beleuchtung und Einsehbarkeit öffent­licher Plätze.

Können Sie ein Beispiel nennen?
Vor zehn Jahren haben wir den Letteplatz in Reinickendorf umgestaltet. Ursprünglich gab es dort einen betonierten Ballspielplatz, wo junge Männer Ball spielten. Auf dem eingezäunten Rasen nebenan trainierten junge Männer Kampfhunde. Es gab dort immer wieder Probleme mit Kriminalität. Frauen oder ältere Menschen haben den Platz gemieden. Im Rahmen des Umbaus haben wir den Ballspielplatz erneuert und Sportgeräte aufgebaut, die gerne von Mädchen genutzt werden. Es gibt dort nun Trampoline, einen Streetballplatz, Balancierbalken, Reckstangen und jetzt ganz neu eine Calisthenics-Anlage. Die einfachen Fitnessgeräte sprechen auch ältere Menschen an. Das führt dazu, dass viele verschiedene Gruppen den Platz gerne nutzen. Einen Teil, der auch Schulweg ist, haben wir beleuchtet. So können die Menschen im Winter länger Sport treiben. Inzwischen ist der Letteplatz ein Beispiel dafür, wie man einen Ort gut planen und genau damit Straftaten verhindern kann. Seit zehn Jahren gab es dort praktisch keine Vorkommnisse mehr.

Wie stellen Sie sicher, dass bei der Planung alle potenziellen Nutzer*innen berücksichtigt werden?
Wenn wir die Beteiligungsverfahren durchführen, achten wir darauf, dass es möglichst keine Sprachbarrieren oder technischen Hemmnisse gibt. Online-Befragungen sollten möglichst einfach gestaltet sein. Wir stellen sicher, dass wir möglichst genauso viele Männer wie Frauen aus unterschiedlichen Altersgruppen, aber auch mit kulturellen Hintergründen erreichen. Teilweise besuchen wir die Menschen zu Hause. Im Planungsprozess stellen wir sicher, dass ihre Wünsche tatsächlich aufgenommen werden.

Was möchten Sie bei den Beteiligungs­verfahren von den Menschen wissen?
Wir fragen nicht „Was wollt ihr haben?“, sondern „Was wollt ihr machen?“. Da kommen manchmal recht erstaunliche Sachen heraus. Bei einem Verfahren für den Nauener Platz im Gesundbrunnen fanden wir heraus, dass ältere Menschen gerne schaukeln. Wir haben daraufhin eine Hollywoodschaukel für den öffent­lichen Raum entworfen. Sie steht inzwischen an mehreren Orten in Berlin und ist natürlich nicht nur bei älteren Menschen beliebt.

Wie kommt es, dass in der Vergangenheit die Interessen von Männern stärker berücksichtigt wurden?
Jeder Planende hat einen bestimmten Erfahrungshorizont – und wenn Planende vor allem männlich sind, ist es eben vor allem der Mann, dessen Bedürfnisse beachtet werden. Das wirkt sich auf den gesamten Planungsprozess aus. Deshalb ist es ja so wichtig, andere Interessen zu berücksich­tigen und sie zu Kriterien zu machen. Das ist keine neue Idee, sondern spielte bereits in den 70er-Jahren eine Rolle. In Zeiten von Corona ist ja noch einmal deutlich geworden, wie wichtig gute Frei- und Stadträume sind.

Barbara Willecke ist Garten- und Landschaftsarchitektin und unter anderem Mitglied und Sprecherin im Fach­frauenbeirat der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt in Berlin.


Autorin: Judith Jenner; Illustration: tatoman/AdobeStock


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