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Lea Streisand

Im Kiez

Leben und lachen in Berlin: Auf ein Gespräch mit Lea Streisand

Wir treffen die Schriftstellerin in Pankow und reden über ihren Kiez, Gentrifizierung und Humor in der Hauptstadt.

Die Außenwände der Heynhöfe im Pankower Florakiez leuchten golden, als Lea Streisand mit ihrem Rad auf den Hof rollt. Die Schriftstellerin kennt sich hier gut aus. Die 43-Jährige wohnt schon seit fast zwei Jahrzehnten in der Nachbarschaft. Für Interviews verabredet sie sich gerne im „Fritz Heyn“, einem Café auf dem Gewerbegelände, das aktuell nur für Veranstaltungen und Vermietungen offen ist (Anfragen per Telefon unter 030 45304723 oder E-Mail an info@fritzheyn.de). 

Bevor wir uns für unser Gespräch reinsetzen, wird die Autorin noch von einem Passanten erkannt: „Die Stimme kenn ick doch!“ Lea Streisand spricht bei Radio Eins seit Jahren eine wöchentliche Kolumne, ihre Stimme ist vielen Menschen sehr vertraut. Außerdem hat sie drei Romane sowie mehrere Erzählbände veröffentlicht und ist Teil der Pankower Lesebühne „Rakete 2000“. Heute möchten wir mit ihr aber nicht nur über ihre Arbeit, sondern auch ihre Heimatstadt Berlin und den ganz besonderen Humor hier sprechen.

Lea Streisand im Café Fritz Heyn

Das Pankower Café Fritz Heyn in der Heynstraße 15, 13187 Berlin überzeugt mit uriger Atmosphäre.

Foto: Katrin Streicher
Das Café Fritz Heyn

Foto: Katrin Streicher

Lea, Kaffee oder Tee? 
Morgens Tee. Danach Kaffee. 

Fahrrad oder Auto? 
Fahrrad. 

Berlin oder Brandenburg?  
Berlin! 

Sommer oder Winter? 
Im Sommer habe ich Geburtstag, aber im Winter fühle ich mich wohler, weil ich besser mit Kälte als mit Hitze kann. 

Fußball oder Handball? 
Bei mir kein Ball. 

Kind oder Karriere? 
Das muss beides gehen. 

Hast du einen Lieblingsarbeitsplatz? 
Am liebsten zu Hause, in meiner gewohnten Umgebung. Und es läuft oft der Fernseher, wenn ich schreibe. Dafür habe ich mich immer entschuldigt. Doch dann habe ich in einem Interview mit der Schriftstellerin Natascha Wodin gehört, dass sie auch immer die Nacht durcharbeitet, während der Fernseher läuft. Sie sagte, die Geräusche erinnerten sie daran, dass die Welt noch da sei und dass ihren Text mal jemand lesen werde. Das leuchtet mir total ein, so ist das bei mir auch. 

Wie wichtig ist dir deine Arbeit? 
Sehr wichtig. Denn meine Arbeit ist etwas, das auch unabhängig von mir funktionieren kann. Wie bei einem Tischler: Der baut den Tisch ja nicht, damit da dann sein Name draufsteht, sondern damit Leute ihn benutzen können. Und so schreibe ich auch Geschichten. Damit sich Leute in diesen Geschichten wiederfinden können.

Sind in Berlin eigentlich alle Kreative?
Wenn man Kuchen backen auch als Kreativität bezeichnen kann, klar. 

Was liebst du an Berlin? 
Berlin ist ein Ort, wo jede*r irgendwelchen Quatsch machen kann. Meine Großmutter hat immer gesagt: „In Berlin kannst du machen, was du willst, es interessiert meistens keine Sau.“ Ich mag diese Anonymität der Großstadt, weil sie auch schützt. Außerdem mag ich, dass Berlin eigentlich zu groß ist, um es richtig schick zu machen. Das Kaputte gehört dazu, denn aus dem Kaputten entsteht wieder etwas Neues. 

Und was magst du so gar nicht an Berlin? 
Es gibt zu viele Autos. 

Was ist Berlin im Jahr 2023?
Hoffentlich eine Stadt mit einer funktionierenden Regierung! (lacht) Ich hoffe, eine Stadt, die ihr Potenzial im künstlerischen Bereich ausschöpft und ihre Verantwortung für die Bewohner*innen wahrnimmt. Vor allem die soziale Verantwortung für die vielen Leute, die sich keine Wohnung leisten können.

Muss man eigentlich in Berlin geboren sein, um als Berliner*in zu gelten? 
Das ist eine schwierige Frage. Hier leben dürfen natürlich alle, die wollen. Aber für mich ist die Sprache einfach ganz wichtig. Heutzutage ist Dialekt verpönt. Ich finde an den Zugezogenen daher vor allem schade, dass die Dialekte weggebügelt werden, weil alle nur noch so ein anständiges Hochdeutsch sprechen. 

Du sprichst selbst viel Berlinerisch?
Ja, aber Berlinerisch meint nicht nur Begriffe und Wörter. Es ist auch eine Art zu denken, eine Haltung. Berlin ist eine sehr herausfordernde, eine sehr laute Stadt. Und demgegenüber gibt es halt die Berliner Art, so Sätze wie „Nu haste dich schön aufjeregt, jetz komm ma wieder runter“. Sowas beruhigt mich immer total. Denn ich bin ein temperamentvoller Mensch und manchmal sehr mitgenommen von Emotionen um mich herum. In solchen Momenten habe ich dann meine Mutter im Ohr, die sagt: „Na, komm. Setz dich hin. Ick mach ma Kaffe.“

Gibt es einen speziellen Berliner Humor? 
Klar, wir verscheißern uns gerne ein bisschen. Wir nehmen uns nicht so ernst. Das finde ich sehr angenehm, und es ist auch etwas, das man zum Schreiben braucht. Denn wenn du schreibst, musst du gleichzeitig in dir drin und außerhalb von dir sein. Man muss empathisch sein und auf Distanz gehen. Und diese Distanz kennzeichnet für mich auch den Berliner Humor. 

Die Deutschen gelten ja eher als humorlos.
Humorlosigkeit taucht immer nur dann auf, wenn Leute unsicher sind. Wenn Leute mit ihrer Rolle nicht klarkommen. Dabei entsteht so eine Diskrepanz, und die führt zu Verklemmtheit. 

Was bringt dich selbst zum Lachen? 
Ich bin sehr kitzlig, und meine Familie hat vor Kurzem rausgefunden, dass meine Kniekehlen am kitzligsten sind. Ich finde mich selbst oft gar nicht komisch. Die Komik in meinen Geschichten ist erarbeitet. Ich bin keine Komikerin, ich benutze die Komik als Vehikel, um meine Geschichten zu erzählen und sie so zu erzählen, dass sie für andere zugänglich sind.

Worüber sollten wir mehr lachen? 
Über uns selbst. Du musst dich nicht selbst lieben – mach dich lieber über dich selbst lustig. Das ist viel heilsamer.

Wie bringst du andere zum Lachen? 
In meiner Komik benutze ich meinen eigenen Körper und das, was mir im Alltag passiert. Ich stelle mein Scheitern offen zur Schau und lasse das Publikum daran teilhaben: Guck mal, was ich für ein Idiot bin! So hat das Charlie Chaplin auch gemacht.
 
Du hast mal gesagt, Komik hat mit Macht zu tun. Wie meinst du das? 
Jeder Witz ist ein Machtspiel. Und jede Komik birgt die Infragestellung von Machtmechanismen in sich. Wenn die Person, die den Witz erzählt, nicht reflektiert, wo auf der Hierarchieleiter sie selbst steht, dann ist es ganz schwierig zu erkennen, über wen sie sich gerade lustig macht. Bei guter Komik ist das aber das Allerwichtigste. Jedes Kind versteht ja schon, dass es nicht cool ist, Kleinere und Schwächere zu ärgern. Es ist cool, Größere zu ärgern, und deshalb sollte man sich bitte schön über die Mächtigen lustig machen.

Du bist im Prenzlauer Berg aufgewachsen und sagst heute, dass du mittlerweile zu arm für den Prenzlberg bist – wie ist das passiert? 
Da ist die Gentrifizierung passiert! Zu Beginn meines Studiums habe ich noch in einer Einzimmerwohnung am Helmholtzplatz gewohnt, von dort aus bin ich irgendwann mit meinem Freund in eine größere Wohnung nach Pankow gezogen. Hier wohne ich immer noch und bin sehr dankbar dafür. Aber diese Verdrängung, die da stattfindet, geht uns alle an. Man hört es ja überall: Paare können sich deswegen nicht trennen oder Kinder nicht ausziehen, weil sie sich sonst keine Wohnung mehr leisten können. 

Es gibt Leute, die finden, es gibt zu viele Kinder im Prenzlauer Berg. 
Es kann nicht zu viele Kinder geben. Es werden ja generell zu wenig Kinder geboren, vor allem in Deutschland. Dieser deutsche Mutter-Kind Hass, das ist ja auch Thema meines letzten Romans. Mütter sollen unsichtbar sein, still, geduldig und die Kinder am besten auch. Diese Mütterfeindlichkeit hat auch mit gesellschaftlichen Realitäten zu tun. Es hat einen Grund, dass wir unsere Kinder so spät bekommen haben – weil wir es uns vorher einfach nicht leisten konnten. Weil wir lange arbeiten mussten, um uns überhaupt ein Kind leisten zu können, ohne sofort in die Armut abzurutschen. Und dann sind wir halt 40 und deshalb müde. Wenn wir eine Nacht nicht geschlafen haben, dann sehen wir auch so aus. 

„War schön jewesen“, Lea Streisands wöchentliche Kolumne mit „Geschichten aus der großen Stadt“, gibt es jeden Montagmorgen um 6:20 Uhr auf Radio Eins und als Podcast. 

Die Lesebühne „Rakete 2000“ findet jeden zweiten Dienstag im Monat im Zimmer 16 in Pankow statt. 

Termine für Lesungen aus ihren Büchern gibt es auf www.leastreisand.de.

Was sagst du zu kinderfreien Cafés?
Ich war mit meinem Kind nicht im Café. Wir sind in den Biergarten gegangen. Was ich aber öfter beobachte: Manche Mütter lassen ihre Kinder alles entscheiden. Das Kind muss gar nichts entscheiden. Du bist die Mutter! Dahinter steckt so eine große Harmoniesucht – die ist weder für Kinder noch Eltern gut. Ich zoffe mich manchmal mit meinem Sohn, aber wir wissen beide, das ist nicht schlimm, denn wir vertragen uns auch wieder. Und das ist auch etwas, was typisch Berlinerisch ist: Wir können uns besser zoffen! 

Was braucht ein Kiez, damit du dich dort wohlfühlst? 
Vielfalt. Eine Durchmischung von Jung und Alt und verschiedenen Berufen. Ich möchte nicht in solchen Gegenden wohnen, wo es nur noch Kreative und Reiche gibt. 

Was ist mit Nachbarschaft? 
Nachbar*innen können einem natürlich auch mal auf die Nerven gehen, wenn es zu nah oder zu laut wird und man mit in das Leben der anderen hineingezogen wird, obwohl man das vielleicht nicht möchte. Unsere islamischen Nachbar*innen haben uns letztes Jahr zum Zuckerfest eingeladen, weil sie meinten, wir würden ja alle unter einem Dach wohnen. Sowas mag ich. 

Könntest du woanders als in Berlin wohnen? 
Jedes Jahr, wenn wir aus dem Urlaub kommen – und wir fahren selten weiter weg als nach Brandenburg oder Mecklenburg-Vorpommern –, sage ich zu meinem Mann, ich möchte auch mal im Grünen leben. Aber mein Mann meint, dass ich es da auf Dauer gar nicht aushalten würde. Ich weiß nicht, ich habe einfach noch nie woanders gelebt. Das Schöne an Berlin ist ja, dass man sich nicht entscheiden muss und dass sich die Orte ändern und die Stadt wächst und sich wandelt. Und außerdem freue ich mich einfach immer, wenn ich den Fernsehturm sehe.


Interview: Gunda Windmüller
Fotos: Katrin Streicher


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